und Naturwissenschaften
Neuartige experimentelle Methode misst die Higgs-Mode in Hochtemperatursupraleitern
4. August 2025, von MIN-Dekanat

Foto: UHH/Rübhausen
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Fachbereichs Physik der Universität Hamburg hat mit einer experimentellen Methode einen Weg gefunden, die Higgs-Mode in Supraleitern direkt zu messen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
In Supraleitern können sich Elektronen auf bemerkenswerte Weise zusammenschließen: Sie bewegen sich kollektiv in einem gemeinsamen Quantenzustand, in dem elektrischer Strom völlig verlustfrei fließt. Forschende können diesen Zustand mit ultrakurzen Laserpulsen gezielt anregen und dadurch ins Schwingen bringen. So entstehen sogenannte Higgs-Moden – kollektive Schwingungen des supraleitenden Zustands selbst. Man kann sich das Schwingungsspektrum der Higgs-Moden wie den Fingerabdruck eines Supraleiters vorstellen – eine Art charakteristisches Echo, das dessen Eigenschaften sichtbar macht.
Die nun neu entwickelte spektroskopische Methode erlaubt es, Higgs-Moden direkt und gezielt zu beobachten. Das ist ein bedeutender Fortschritt, denn viele zentrale Fragen zur Supraleitung – insbesondere zur sogenannten Hochtemperatur-Supraleitung, die auch bei relativ hohen Temperaturen funktioniert – sind bis heute ungelöst.
„Terahertz-Laser haben in den vergangenen zehn Jahren große Fortschritte in der experimentellen Higgs-Spektroskopie ermöglicht“, erklärt Stefan Kaiser, Professor an der Technischen Universität Dresden und Mitautor der Studie. „Was bisher jedoch fehlte, war ein präzises Werkzeug zur Untersuchung der Symmetrieeigenschaften dieser Anregungen – genau hier setzt die Raman-Spektroskopie an.“
Das Team entwickelte dazu Non-Equilibrium Anti-Stokes Raman Scattering (NEARS). Dabei wird ein gezielter „Soft Quench“ des sogenannten Mexican-Hat-Potenzials ausgelöst, was zu einer kontrollierten Anregung metastabiler Higgs-Zustände führt. „Durch diese Anregung entsteht eine charakteristische Populationsinversion, die sich im Spektrum als zusätzliches Signal zeigt“, erläutert Dr. Tomke Glier, Postdoktorandin am Fachbereich Physik der Universität Hamburg und Erstautorin der Studie. „Diese polarisationsabhängige Raman-Spektroskopie ermöglicht es erstmals, die Symmetrie der Higgs-Moden experimentell zu bestimmen – ein entscheidender Schritt“, ergänzt Prof. Dirk Manske, der zusammen mit Theoretikern am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung und innerhalb des Max Planck–UBC–UTokyo Centers für Quantenmaterialien eine Klassifizierung möglicher Higgs-Moden in Supraleitern erstellt hat.
NEARS eröffnet einen systematischen Zugang zur Analyse von Amplitudenmoden in einer Vielzahl von Quantenkondensaten – von Supraleitern mit konkurrierenden Ordnungen bis hin zu induzierten supraleitenden Zuständen oder Interface-Supraleitungen. Die Präsenz der Higgs-Mode kann künftig sogar als Kriterium für eine Supraleitung herangezogen sowie genutzt werden, um Kohärenzlängen und Symmetrien des Ordnungsparameters neuer Supraleiter zu charakterisieren.
NEARS-Messungen werden an dem einzigartigen, neu entwickelten Raman-Spektrometer in Hamburg am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL, Arbeitsgruppe Rübhausen) durchgeführt. Das in Hamburg entwickelte Spektrometer ermöglicht zeitaufgelöste Raman-Spektroskopie in Resonanz mit den entscheidenden Energieskalen der kondensierten Materie. „Diesen großen Spektralbereich in Verbindung mit sehr hoher Energieauflösung bei kleinen Anregungsenergien erreichen wir mit diesem seit vielen Jahren kontinuierlich weiterentwickelten Aufbau“, erklärt Prof. Michael Rübhausen vom Fachbereich Physik der UHH.
Originalpublikation
Glier, T.E., Tian, S., Rerrer, M. et al. (2025) Non-equilibrium anti-Stokes Raman spectroscopy for investigating Higgs modes in superconductors. Nat Commun 16, 702.
https://doi.org/10.1038/s41467-025-62245-4