und Naturwissenschaften
„Wie müssen wir Verfahren bauen, damit Computer Lösungen für diese Probleme finden?“
22. Juni 2022, von MIN-Dekanat

Foto: UHH/Esfandiari
Prof. Dr. Winnifried Wollner hat die W3-Professur „Mathematik, insbesondere Optimierung“ der Universität Hamburg angenommen und arbeitet seit dem 1. April am Fachbereich Mathematik der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften. Er forscht zur Optimierung von Problemen, die zum Beispiel in Klima- und Geomodellen Anwendung finden.
Herr Wollner, können Sie Ihr Forschungsgebiet kurz beschreiben?
Prof. Dr. Winnifried Wollner: Mein Forschungsgebiet liegt in der Optimierung von Problemen, bei denen Differentialgleichungen eine Rolle spielen. Dazu zählt auch die Identifikation von verschiedenen wichtigen Parametern in diesen Gleichungen. Nehmen wir als Beispiel Modelle in den Klimawissenschaften: Hier wissen wir eigentlich nicht, welche Werte die Parameter in den Gleichungen annehmen. Mithilfe von Optimierungstechniken können wir aber versuchen, diese zu identifizieren. Ähnliche Techniken spielen heutzutage auch beim Maschinellen Lernen eine wichtige Rolle. Dabei müssen wir verschiedene, möglicherweise hochdimensionale, Parameter in das System einführen. Für mich stellt sich die Frage, wie wir numerische Verfahren bauen müssen, damit Computer zuverlässig Lösungen für diese Probleme finden.
Können Sie ein Anwendungsbeispiel aus den Klimawissenschaften nennen?
Stellen Sie sich einen Wetterbericht vor. Sie könnten hervorragend mittels mathematischer Modelle ausrechnen, wie sich das Wetter entwickelt, wenn das aktuelle Wetter bekannt wäre. Zur Vorhersage müsste man diese Daten in ein Modell integrieren und nicht messbare Parameter des Modells identifizieren. Mich interessiert die Frage, wie dies möglichst effizient gestaltet werden kann.
Ihre Forschung ist also sehr anwendungsorientiert.
Viele Probleme, die mich beschäftigen, kommen aus den Anwendungen. Aktuell arbeite ich zum Beispiel an einem Forschungsprojekt, bei dem ich modelliere und optimiere, wie sich Risse in Materialien ausbreiten. Man kann sich hier z.B. einen Fahrradhelm vorstellen. Damit ein Helm schützt, wird die Energie bei einem Aufprall durch Schädigung des Helms aufgenommen. Die Frage ist, wie das Innenleben des Helms gestaltet werden sollte, damit möglichst viel Energie im Helm aufgenommen wird, um die Verletzung der Person zu verringern. Wenn man versucht, das mathematisch zu beschreiben und zu optimieren, treten erstaunlich viele Probleme auf. Meine Motivation ist, hierfür zuverlässige und effiziente Berechnungsverfahren zu entwickeln.
Welche mathematischen Probleme sind das?
Eine Schwierigkeit bei solchen Schädigungsproblemen ist, dass sie nicht reversibel sind. Das heißt, man kann sie nicht zurückdrehen und der Helm ist wieder heil. Das macht die Optimierung kompliziert. Und das zweite Problem ist sehr technisch: Wenn man etwas simulieren will, dann kann man relativ schnell die Verformung des Materials simulieren. Aber wenn das Material nicht mehr da ist, dann stellt das für einen Computer und auch für die Optimierung ein Problem dar. Vorher hat man vielleicht beschrieben, dass sich mit der Schädigung ein bestimmter Punkt verschiebt. Jetzt ist jedoch kein Material mehr vorhanden. Was passiert dann mit diesem Punkt?
Arbeiten Sie bei dem Projekt mit einem Fahrradhelmhersteller zusammen?
Das ist ein Projekt, an dem ich mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Bonn und Hannover arbeite. In Hannover befindet sich auch das Deutsche Institut für Kautschukforschung, das an der Modellierung interessiert ist und mit dem wir zusammenarbeiten. Aber so dicht an der Anwendung, dass wir schon Helme bauen können, sind wir noch nicht.
Haben Sie weitere Kooperationen, eventuell auch international?
International kooperiere ich zum Beispiel mit der Texas A&M University in College Station in Amerika. Wir untersuchen, wie bestimmte Nanostrukturen aufgebaut sein müssen, um einen makroskopischen Effekt zu erzielen. Mathematisch nennt sich das inverse Homogenisierung, die wir mit Techniken der Formoptimierung verbinden.
Werden Sie an der Universität Hamburg weitere Projekte und Kooperationen anstoßen?
Ich werde sicherlich zusammen mit dem Graduiertenkolleg 2583 des Fachbereichs Mathematik zur Optimierung der Strömungsmechanik kooperieren. Auch am Fachbereich Erdsystemwissenschaften, etwa im Transregio 181, gibt es viele interessante Forschungsfragen, zum Beispiel wie Effekte in den Klima- und Geomodellen abgebildet werden. Das sind natürlich auch Quellen für sehr spannende Optimierungsprobleme.
Und welche Lehrveranstaltungen haben Sie geplant?
Im Moment halte ich viele Vorlesungen zu Optimierungstechniken für Bachelor- und Masterstudierende und es ist schön, dass man nach zwei Jahren wieder „echte Menschen“ vor sich sitzen hat. Besonders wichtig ist der Kontakt mit den Studierenden, mit ihnen diskutieren zu können, wie man die Probleme angehen kann. Ich will keine reinen Vorlesungen halten, sondern sie sollen auch einen Interaktionscharakter haben. Ich biete auch Proseminare an, in denen Studierende selbst ein Thema erarbeiten und dieses für ihre Kommilitonen erklären. Auch da ist mein Anliegen, dass wir möglichst viel Austausch haben und eine Diskussion über die Themen entsteht.
Sie haben in Heidelberg studiert und waren zuletzt Professor an der Technischen Universität Darmstadt. Warum haben Sie sich nun für Hamburg entschieden?
Das ist einfach, ich wurde in der Nähe von Hamburg geboren und es ist schön, wieder zu Hause zu sein. Und die Universität habe ich schon damals, als ich zwischen 2011 und 2015 Juniorprofessor hier an der Universität war, als sehr spannend wahrgenommen.