und Naturwissenschaften
Die Sicherung der Beiträge der Natur für den Menschen erfordert 20 Prozent halbnatürliche Lebensräume
22. Januar 2024, von MIN-Dekanat

Foto: pixabay/FelixMittermeier
Eine Studie der Earth Commission mit Beteiligung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg zeigt, dass den Menschen viele der regulierenden und immateriellen Vorteile der Natur entgehen werden, wenn natürliche Räume in vom Menschen veränderten Gebieten nicht strategisch geschaffen und erhalten werden.
Während sich Naturschutzbemühungen in der Regel auf wilde natürliche Lebensräume konzentrieren und solche, die noch intakt sind, argumentieren die Forschenden, dass der Schutz landwirtschaftlicher und städtischer Flächen ebenso wichtig sein kann und nicht übersehen werden sollte.
"Die Weltgemeinschaft muss über geschützte und intakte Naturgebiete hinausblicken, wenn sie über biologische Vielfalt spricht, und die lebenswichtige Präsenz der Natur in allen Landschaften anerkennen, in denen Menschen leben, d. h. in Kulturland, Städten und auf dem Land", sagt der Hauptautorin der Studie, Dr. Awaz Mohamed vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg. "Das Überleben der Menschen hängt vom Funktionieren dieser Landschaften ab. Das Mosaik der Landschaften, in denen wir leben, versorgt alle Menschen mit Nahrung, sauberem Wasser und Luft, schützt vor Klimaextremen und Naturgefahren und trägt so zu unserem allgemeinen Wohlbefinden bei."
Der Nutzen, den die Natur für den Menschen erbringt - Nature’s Contributions to People, NCP genannt - , spielt in landwirtschaftlichen und städtischen Landschaften eine wichtige Rolle. In einer umfassenden Literaturrecherche untersuchten die Autorinnen und Autoren der Studie sechs wichtige NCP, die durch die Pflege naturnaher Lebensräume erhalten werden können, und ermittelten das Mindestmaß an "funktionaler Integrität", das in einer Landschaft erforderlich ist, um die Bereitstellung dieser NCP zu gewährleisten. Die funktionale Integrität ist die Fähigkeit eines Gebiets, NCP auf der Grundlage der Quantität, Qualität und räumlichen Konfiguration der darin enthaltenen Lebensräume bereitzustellen und zu erhalten. Denn es ist nicht nur wichtig, dass ein Teil der Natur in vom Menschen veränderten Landschaften vorhanden ist, sondern auch wie viel und welche Qualität (z. B. Artenvielfalt und -zusammensetzung) und schließlich die räumliche Anordnung oder die Platzierung einzelner Lebensräume (z. B. Zugänglichkeit für Menschen und andere mobile Organismen).
Dr. Mohamed erklärt: "Strategisch in der Landschaft platzierte Lebensräume können die Häufigkeit, das Risiko und die Auswirkungen von Naturgefahren wie flachen Erdrutschen, Überschwemmungen und Bodenerosion erheblich verringern. Lebensräume in Agrarlandschaften bieten wichtigen Raum für Bestäuber und schädlingsregulierende Organismen. Lebensräume in städtischen Ökosystemen, in Form von Grünflächen und Parks, können Funktionen wie physisch und psychologisch positive Erfahrungen bieten, die erheblich zum Wohlbefinden beitragen.“
Durch ihre Überprüfung und Synthese der vorhandenen Belege fanden die Forschenden heraus, dass in einer vom Menschen veränderten Landschaft mindestens 20 bis 25 Prozent (halb-)natürliche Lebensräume pro Quadratkilometer vorhanden sein müssen, damit die NCP erhalten bleiben. Sie betonen, dass dies der kritische Wert ist und nicht der optimale Wert, der erforderlich ist, um den Bedarf der Gemeinschaft zu. Die Autorinnen und Autoren stellten fest, dass unterhalb von zehn Prozent Lebensraumfläche pro Quadratkilometer die meisten der untersuchten Vorteile der Natur fast vollständig verloren gehen; dies betrifft etwa 50 Prozent der vom Menschen veränderten Flächen weltweit. "Auf der Grundlage von Landbedeckungsdaten der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) haben wir festgestellt, dass nur ein Drittel der weltweiten, vom Menschen veränderten Flächen dieses Mindestniveau für die Bereitstellung von NCP erreicht", sagt Prof. Dr. Ina Meier vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg und Mitautorin der Studie. "Dieser Befund unterstreicht die dringende Notwendigkeit politischer Maßnahmen zur Wiederherstellung und Regeneration der Ökosystemfunktionen und ihres Beitrags zum menschlichen Wohlbefinden in den verbleibenden Gebieten".
Die Studie kann als Grundlage für solche politischen Maßnahmen dienen, da sie die erste umfassende und weithin anwendbare Messung des Mindestniveaus an funktionaler Integrität liefert, das für mehrere NCP und ein breites Spektrum von Landschaften erforderlich ist. Der Rahmen kann als allgemeiner Leitfaden dienen, um vorrangige Standorte für wirksame und gezielte Erhaltungs- und Wiederherstellungsstrategien zu ermitteln, um die nachhaltige Bereitstellung von NCP zu fördern und das Wohlbefinden der Menschen zu sichern.
Der Rahmen kann als allgemeiner Leitfaden dienen, um vorrangige Standorte für wirksame und gezielte Erhaltungs- und Wiederherstellungsstrategien zu ermitteln, um die nachhaltige Bereitstellung von NKP zu fördern und das Wohlergehen der von diesen Ökosystemen abhängigen Menschen zu sichern.
Spezifische Ansätze zur Verbesserung der NCP-Bereitstellung variieren je nach Kontext und müssen an die lokalen Gegebenheiten und Bedingungen angepasst und übernommen werden. "Die Deckung des Bedarfs an NCP erfordert unter vielen Bedingungen und Kontexten eine Quantität, Qualität und räumliche Verteilung der Lebensräume, die über die in der aktuellen Studie ermittelten Mindestwerte hinausgeht", sagt Dr. Mohamed. "Die Zusammenarbeit mit den lokalen Gemeinschaften und die Umsetzung lokal angepasster Praktiken sind grundlegende Schritte bei der Ermittlung der vorrangig zu behandelnden NCP und der kritischen Lebensräume, die sie bereitstellen.“
Wenn die Bedeutung von NCP und naturnahen Lebensräumen bei den Erhaltungsbemühungen ernster genommen wird, kommt dies nicht nur dem Wohlergehen der Menschen zugute, sondern trägt auch dazu bei, Lebensräume und ihre Ökosystemfunktionen wiederherzustellen und den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, indem die Vernetzung von Landschaften wiederhergestellt wird, was letztlich die Widerstandsfähigkeit von landwirtschaftlichen und städtischen Gebieten gegenüber dem Klimawandel stärkt. Angesichts des beschleunigten weltweiten Rückgangs der biologischen Vielfalt und damit auch der NCP war diese Aufgabe noch nie so dringend wie heute.
Originalpublikation
Awaz Mohamed, Fabrice DeClerck, Peter H. Verburg, David Obura, Jesse F. Abrams, Noelia Zafra-Calvo, Juan Rocha, Natalia Estrada-Carmona, Alexander Fremier, Sarah K. Jones, Ina C. Meier, Ben Stewart-Koster (2024) Securing Nature’s Contributions to People requires at least 20%–25% (semi-)natural habitat in human-modified landscapes, One Earth; 7 (1), p. 59-71.
https://doi.org/10.1016/j.oneear.2023.12.008