Mit einem Mathematiktag für Schülerinnen der Jahrgangsstufen 10 bis 13 will der Fachbereich Mathematik der Universität Hamburg mehr Mädchen für den Studiengang begeistern. In mehrstündigen „Modulen“ führten Studierende die Teilnehmerinnen in die Stochastik, die Graphentheorie, die Geometrie und die Modellierung ein. „Das Abstraktionsniveau lag über dem, was die Mädchen aus der Schule gewohnt sind“, erklärt Mitorganisatorin Prof. Dr. Andrea Blunck. „Aber die 20 Schülerinnen sind drangeblieben. Dass sich die meisten von ihnen bereits für Mathe oder eine andere Naturwissenschaft entschieden haben, freut mich sehr. So können wir Vorurteile widerlegen und den Frauenanteil in unserem Fach nach und nach steigern.“
Wie Pythagoras beim Einparken hilft, weshalb Leonhard Euler nicht über sieben Brücken spazieren konnte und vieles mehr erfuhren 20 Mädchen beim Mathematiktag für Mädchen „Girls go Math“ des Fachbereichs Mathematik der Universität Hamburg am Sonnabend, 17. April 2010. „Es ist toll zu sehen, wie viel Mathe mit unserem Alltag zu tun hat und dass das Fach viel mehr beinhaltet als wir in der Schule durchnehmen“, findet Zehntklässlerin Svenja. Sie will Mathe als Leistungskurs wählen und später auch studieren. „Und zwar nicht auf Lehramt, sondern die reine Wissenschaft.“
Wie Svenja interessieren sich immer mehr Mädchen für Mathe, beobachtet Prof. Dr. Andrea Blunck, die den Mathe-Tag gemeinsam mit Dr. Susanne Koch, Wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen sowie Studierenden organisiert. „Inzwischen haben wir ungefähr 40 Prozent Frauen in den Vorlesungen und Seminaren. Das liegt aber daran, dass auch Studierende des Lehramts dabei sind und bei denen ist der Frauenanteil sehr hoch.“ Es seien aber noch immer zu wenige, findet die Mathematikerin, die sich gleichzeitig mit Gender Studies beschäftigt. Sie habe im Laufe ihrer Karriere erlebt, dass Frauen nur schwer
in der Männerdomäne Fuß fassen. Doch inzwischen belegen Studien, dass Mädchen fast genauso gut rechnen können wie Jungen. Oder dass Mathematikerinnen ihre Problemstellungen genauso anpacken wie ihre männlichen Kollegen. Andrea Blunck hat sogar eine ganze Reihe berühmter Mathematikerinnen identifiziert und stellt diese in einer regelmäßigen Vorlesungsreihe vor.
Während Svenja gemeinsam mit ihrer Freundin Sabrina über einer Zeichnung brütet und schließlich per Satz des Pythagoras herausfindet, wie lang eine Parklücke für ein vier Meter langes Auto mindestens sein muss, malt Vanessa zum x-ten Mal das Haus vom Nikolaus auf ihren Block. Das Gebilde, das man in einem Zug zeichnen kann, nennt man auch „Euler-Weg“, erklärt Studentin Ann-Katrin Ebert. In ihrer Einführung in die Graphentheorie kann sie nicht auf Schulwissen aufbauen. Vokabular, Denkweise und Symbole sind den Mädchen völlig neu. Graphen kennen sie nur als Abbildungen von Funktionen, aber nicht
als Gebilde aus Ecken und Kanten. Trotzdem denken sich die Mädchen schnell ein und lösen schließlich sogar das „Königsberger Brückenproblem“. Leonhard Euler hatte bei der Beantwortung der Frage, ob es einen Rundweg durch die Stadt gebe, der alle sieben Brücken genau einmal quere, den Grundstein zur Graphentheorie gelegt. Er bewies, dass ein solcher Spaziergang nicht möglich ist, da zu den vier Ufergebieten des Flusses Pregel und zur Insel jeweils eine ungerade Zahl Brücken führte. „Das Niveau ist schon deutlich anders als in der Schule“, stellt Vanessa fest. Sie will Architektur studieren und ist räumliches Denken gewöhnt. „Zu schwer war’s also nicht.“
Im Nachbarraum stürzen sich vier Mädchen auf stochastische Formeln. Julia hat sich die abstrakte Symbolsprache schnell angeeignet, fügt Definitionen in ihren Dreisatz ein und beweist im Nu die stochastische Unabhängigkeit zweier Ereignisse – eine Aufgabe, über die so mancher Studienanfänger einen Moment grübeln muss. Hinter ihr Ergebnis setzt sie stolz das Kästchensymbol „□“, mit dem Mathematiker den erbrachten Beweis kennzeichnen.
Beweise machen den Mädchen Spaß. „Das ist etwas anderes als in der Schule, wo wir nur Formeln auswendig lernen und gar nicht wissen, wie sie entstanden sind und was sie eigentlich bedeuten“, sagt Alex. Nur ein Mathelehrer der alten Schule gab ihrer Klasse manchmal Beweise auf. „Da weiß man dann nichtmal, wo man ansetzen soll.“
Student Alexander Wolf hat ähnliches erlebt, bevor er sich in Hamburg für Mathe einschrieb. „Wir haben irgendwelche Tabellen ausgefüllt, die mit Polynomdivisionen zu tun hatten. Aber als ich nach dem Sinn gefragt habe, hat mein Lehrer nur geantwortet: ‚Was hat in der Mathematik schon Sinn?’.“ Den erkennt er erst jetzt im Studium. „Die Ergebnisse sind meist ganz klar.“
„Viele Probleme lassen sich auf schöne und einfache Art lösen“, schwärmt Student Tobias Moede im Abschlussvortrag über das Mathestudium in Hamburg. „Wenn man tagelang über ein Problem nachgedacht und mit Kommilitonen diskutiert hat, kommt einem irgendwann, vielleicht morgens unter der Dusche, die entscheidende Idee für die Lösung. Das macht richtig Freude. Und manchmal sieht man später sogar: Es geht noch eleganter.“ Einen ersten Eindruck von der Schönheit der Mathematik nehmen die Mädchen an diesem Tag mit nach Hause.